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Die Rehabilitation der Schlange
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Die Rehabilitation der Schlange

Dr. Klaus Dorn
Ein Beitrag von Dr. Klaus Dorn, em. Dozent am Kath.-Theol. Seminar, Marburg
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Die Schlange aber war listiger als die übrigen Tiere, heißt es in vielen Übersetzungen der Schöpfungsgeschichten. Diese Wiedergabe ist nicht falsch. Aber "arum", wie es im hebräischen Text heißt, bedeutet eben nicht nur "listig" im Sinne von Hinterlist, sondern auch weiser, klüger, vorsichtiger. Mit "listig" wird die Schlange gleich im ersten Satz als böse, als Un-Tier ausgewiesen. Sie verführt Eva und damit auch Adam dazu, das Gebot Gottes zu übertreten und ist damit schuld an all dem, was den Menschen wegen der Übertretung widerfährt: Der Mensch muss sterben. Der Mensch muss sich um sein tägliches Brot mühen, die Frau ist dem Mann unterlegen und wird unter Schmerzen Kinder gebären und die Erde wird Dornen und Disteln tragen. Und schließlich kommt hinzu, dass der Mensch die Schlange fürchtet, aber auch in der Lage ist, sie zu töten. Sie muss auf dem Bauch kriechen und angeblich Staub fressen.

Das Ganze ist also übel ausgegangen, nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Schlange. Wer sich aber die Mühe macht, den ganzen Abschnitt der Schöpfungsgeschichte sorgfältig zu lesen, kommt zu ganz anderen Schlüssen: Die Übertretung von Gottes Gebot führt nicht zum Tod des Menschen, zumindest nicht gleich. Grundsätzlich war der Mensch schon immer sterblich. Andernfalls müsste Gott am Ende keinen Wächterengel vor den Garten Eden stellen, der die Menschen hindert, sich auch noch am Baum des Lebens zu vergreifen. Erst dieser macht unsterblich. Gott aber will die Unsterblichkeit des Menschen nicht. Sie steht nur ihm zu. Er will dies genauso wenig wie die Fähigkeit zur Unterscheidung von gut und schlecht, falsch und richtig, die sich der Mensch gegen Gottes Gebot angeeignet hat. Und die Schlange? Zu gerne wird sie als Satan gesehen, der den Menschen zum Bösen verführt hat. Aber bei genauerer Betrachtung ereignet sich nach dem Genuss der Frucht doch wirklich nichts anderes, als das, was die Schlange vorhergesagt hat: Den Menschen gehen die Augen auf und sie erkennen gut und böse, genau wie von der Schlange gesagt. Und schließlich hat diese Geschichte noch einen Haken: Der Mensch muss schon vorher die Möglichkeit gehabt haben, zu unterscheiden und auszuwählen. Denn sonst hätte sich Eva hier nicht für die Frucht entscheiden können. Es ist eine ganz schön verrückte Geschichte, die wir da am Anfang der Schrift vorfinden. Und man kann sich fragen, was sie eigentlich soll.

Sprechende Schlangen gibt es damals genau so wenig wie heute. Die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichten erklären vielmehr die Welt, warum der Mensch sich mühen muss und der Mann der Frau an Kraft überlegen ist. Sie erklären auch, warum die Schlange durch Gottes Fluch nur kriechen kann. Und sie erklären schließlich die Frage, warum der Mensch die Möglichkeit hat, eine Entscheidung zwischen Gut und Böse zu treffen, eine Entscheidung, die häufig genug zur Qual wird. In diesem Zwiespalt steht der Mensch, hat damit aber gleichzeitig ein kleines bisschen Anteil an den Fähigkeiten Gottes. Denken wir einmal daran, wenn wir unterscheiden, welche wunderbare Gabe wir haben und geben nicht der Schlange die Schuld, wenn wir diese Gabe wieder einmal aus den Augen verlieren.

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