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Zuhören hilft
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Zuhören hilft

Patricia Nell
Ein Beitrag von Patricia Nell, Katholische Pastoralreferentin und Religionslehrerin, Frankfurt
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Amar ist ein ehrgeiziger Schüler. Er kommt aus Afghanistan. Vor fünf Jahren musste er fliehen. Ganz allein. Um sein Leben zu retten. Seine Schwester hatte es wenige Tage vorher verloren. Weil sie Frauen das Lesen und Schreiben beibrachte und für ihre Rechte eintrat, wurde sie umgebracht. Amar, ihr jüngerer Bruder, hat es bis nach Deutschland geschafft. Er macht jetzt eine Ausbildung zum Elektroniker und sitzt bei mir im Religionsunterricht. Vor ein paar Wochen stand für ihn ein Termin bei der Ausländerbehörde an. Seine Aufenthaltserlaubnis musste verlängert werden. Und obwohl alles vorbereitet war und die Chancen gut standen, wirkte Amar nervös. „Wollen Sie das Ihren Mitschülern heute nicht einfach mal erzählen?“, hatte ich ihn vor dem Unterricht gefragt. Die jungen Leute kennen solche Fragen von mir. Sie wissen: Reli ist auch dazu da, dass wir einander zuhören und erfahren, was unserem Nächsten auf der Seele brennt.

Kummer durch zuhören ein bisschen mit aushalten

Und auch das wissen sie: Mir liegt achtsames Zuhören mehr am Herzen, als manches andere. Denn es will gelernt sein. Man muss eine Zeit lang den eigenen Alltag wegschieben, sich selbst zurücknehmen und die Welt des anderen an sich heranlassen. Amar darf uns von sich erzählen. Seine Welt ist voller Sorgen. Er lebt in ständiger Angst. Angst, dass die Behörden ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Angst um die Familie in Afghanistan, die nicht sicher ist. Angst, dass er nicht gut genug ist, um die Prüfung zu schaffen, und nicht zuletzt Angst vor den Albträumen, die ihn immer wieder einholen. Schlimm genug, dass niemand von uns ihm diese Ängste nehmen kann. Aber zuhören, mitfühlen und den ganzen Kummer ein bisschen mit aushalten, das können wir.

Er muss jetzt los - allein

„Wir drücken die Daumen, dass es klappt“, sagt ein Schüler zu Amar. „Ja, Amar, ist doch bis jetzt gut gegangen. Gib‘ nicht auf,“ ergänzt sein Sitznachbar und boxt ihm kumpelhaft in die Seite. „Und wenn wir was tun können, dann gibst du Bescheid, ok?“, „Danke, Jungs“, sagt Amar, nimmt seine Tasche und geht. Er muss jetzt los. Allein.

Ihr schafft wertvollen Raum für Vertrauen und Sicherheit

Schicksale wie das seine gibt es viele. Sich ihrer freiwillig ein bisschen anzunehmen, fällt leider immer noch schwer. Wo immer aber das gelingt, verändert sich etwas. Auch in Schulklassen. Und das sage ich den jungen Leuten dann auch: „Ihr schafft da etwas ganz Wertvolles, nämlich einen Raum für Vertrauen und Sicherheit. Nicht nur für Amar. Sondern für uns alle hier. Das ist eine hohe Leistung. Und ihr habt meinen absoluten Respekt dafür“.

Zuhören hilft, Gräben zu überwinden

Achtsames Zuhören hilft beim Wachsen starker zwischenmenschlicher Beziehungen mehr als wir denken. Es trägt dazu bei, soziale und kulturelle Gräben zu überwinden. Und Menschen wie Amar das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein in einer Welt voller Sorgen, sondern gesehen zu werden und aufgehoben zu sein. Ob Amar bleiben darf, wissen wir noch nicht. Wir werden aber weiter für ihn da sein, ihm zuhören und mit ihm hoffen.

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