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Lob der Freundschaft
Tatiana Dvoretskaya/GettyImages

Lob der Freundschaft

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Im letzten Sommer habe ich ein paar Tage im Haus meiner Eltern verbracht. Meine Eltern selbst waren zu dieser Zeit nicht daheim. Sie waren in ein Heim gezogen, weil sich mein alter Vater ans Sterben machte.

Unverhoffter Besuch

Seine Familie, Nachbarn und alte Freunde hatten ihn zuvor noch einmal besucht. Meine Mutter und wir Kinder waren darauf eingestellt, dass jeder Tag der letzte sein konnte. Da klingelte es an der Wohnungstür meines Elternhauses. Ich öffnete und vor mir standen zwei ältere Herren. „Vertreter“, dachte ich und schaute sie vermutlich entsprechend genervt an. Einer der Herren sagte: „Entschuldigung, wir suchen´s den Hans“. Mit rollendem „R“ und fränkischem Akzent fragte der Mann nach meinem Vater. Ich war verblüfft. Und bat die beiden Männer herein.

Aus Arbeitskollegen wurden Freunde

Sie waren ehemalige Arbeitskollegen. Mit meinem Vater hatten sie vor Jahren ab und an nach Feierabend bei einem Wein zusammen gesessen und über das Leben im Allgemeinen und ihre kleinen und großen Sorgen im Besonderen geplaudert. Sie lachten über das, was an der Arbeit Kurioses passiert war, erzählten von ihren Familien. Und wenn der Wein sie beflügelte, dann sicher auch von ihren Träumen und Nöten. Kurz gesagt: Sie wurden Freunde. Jedes Jahr schickten sie sich auch im Ruhestand einen Geburtstagsgruß.

Aus Freundschaft sich Zeit nehmen

Nun hatten die beiden Männer seit langem nichts von meinem Vater gehört. Sie bekamen keine Post mehr von ihm, Das Telefon lief ins Leere. Die Adressen von uns Kindern hatten sie nicht. Also machten sie sich an diesem heißen Sommermorgen aus dem Fränkischen auf den Weg Richtung Oberhessen. Ohne zu wissen, ob sie dort jemanden antreffen. Wen sie antreffen. Was sie erfahren. „Wir suchen´s den Hans“.  -  Aus Freundschaft sind sie Hunderte von Kilometern gefahren. Aus Freundschaft nahmen sie sich Zeit. Aus Freundschaft kamen sie zu Zweit. Denn wenn es schwer wird im Leben, dann ist es gut, nicht alleine zu sein.

"Lob der Freundschaft" von Dorothee Sölle

Mich erinnerte der Besuch der beiden Männer an das „Lob der Freundschaft“ der Theologin und Dichterin Dorothee Sölle. In einem Gedicht heißt es:

Freundschaft ist, wenn Abraham mit Gott handelt,
um die Stadt Sodom zu retten. […]
Freundschaft ist, wenn Maria Elisabeth aufsucht und bleibt bis die Zeit zum Abtreiben vorbei ist. […]
Freundschaft ist:
verfügbar sein und verfügen,
reden können und nicht reden müssen,
fragen dürfen und auch dann nicht verzweifeln, wenn es keine Antwort gibt.
(Dorothee Sölle, Lob der Freundschaft, Ich will nicht auf tausend Messern gehen. Gedichte. München 1986, S. 92f.)

"Wir suchen's den Hans"

Die beiden Männer aus Franken haben ihren Freund noch einmal gesehen im Heim. Sie saßen an seinem Bett. Sie teilten noch einmal Zeit zusammen. Ich weiß nicht, was sie geredet haben. Ob sie geschwiegen haben. Wie beredt das Schweigen war. Aber ich habe sie gesehen, als sie aus dem Zimmer kamen. Ruhig und erleichtert war ihr Blick, sie hatten ihren Freund getroffen. Dann fuhren sie durch den heißen Sommertag wieder zurück nach Franken.
„Wir suchen´s den Hans“ – für mich wird dieser Satz ein Inbegriff für Freundschaft bleiben, mein Leben lang. 

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