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Karfreitag - Trost in Schmerz, Trauer und Tod
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Karfreitag - Trost in Schmerz, Trauer und Tod

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen
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Dies ist der Tag, dessen Thema kaum jemand mag: Karfreitag. Ein stiller Tag. Er erinnert an den elenden Tod von Jesus Christus am Kreuz und damit an Schmerz und Ohnmacht, an Folter und Tod. Wer will daran schon erinnert werden? Kaum jemand. Das wissen die, die davon betroffen sind, nur zu gut. Deshalb behalten sie ihr Leid meist für sich. Heute ist ihr Tag, der Tag der Leidgeplagten. Schon das tut gut: beachtet zu werden und Mitgefühl zu erfahren.

In der Dunkelheit von Karfreitag leuchtet eine kleine Flamme der Hoffnung

Aber das ist noch nicht alles. In der Dunkelheit dieses Tages leuchtet eine kleine Flamme der Hoffnung auf. Sie sagt: „Sei getrost, denn Schmerz und Tod werden nicht das letzte Wort behalten.“ Wie kommt man zu dieser Hoffnung? Indem man sich in die Dunkelheit dieses Tages hineinwagt. Der Weg ist allerdings nicht leicht, denn er folgt Jesus bis zum Kreuz. Dazu lade ich Sie ein.

Musik: Stimmwerck, Christe, du Lamm Gottes

Jesus auf dem Weg nach Gethsemane

Folgen wir Jesus auf seinem Weg zum Kreuz. Wir stoßen zu ihm in der Nacht davor. Gerade verlässt Jesus mit seinen Jüngern Jerusalem. Sie steigen auf einen benachbarten Hügel. Ihr Ziel ist der Garten Gethsemane, ein Lieblingsort Jesu. Er weiß, was auf ihn zukommt. Und er hat Angst. Er fängt an zu „trauern und zu zagen“, so berichtet es in der Bibel der Evangelist Matthäus. Jesus bittet seine Jünger, bei ihm zu bleiben und zu wachen. Doch sie schlafen ein. Er selbst bleibt mit seiner Todesangst allein. Er fleht zu Gott und bittet um ein gütigeres Schicksal. Vergeblich.

Allein mit der Todesangst

Alleine mit der Angst, bis in den Tod hinein. Das haben in den vergangenen zwölf Monaten viele erlebt: zum Beispiel in den Altersheimen und Kliniken. Abgeschirmt vor dem Corona-Virus, aber auch vor den eigenen Angehörigen. Einsam jede Stunde, jeden Tag, Monat für Monat, viele bis in den Tod hinein. Einsam aber auch die Angehörigen zu Hause. Auch sie blieben hilflos sitzen auf ihrer Sorge und ihrer Liebe. Unwiederbringlich verlorene gemeinsame Zeit. Hunderttausende konnten nicht so Abschied nehmen wie sonst. „Trauerfeier im engsten Familienkreis“, das steht seit vielen Monaten unter nahezu jeder Traueranzeige.

Karfreitag: der Tag der einsam Gestorbenen und der einsam Trauernden

Allein mit dem Ende. Das erleben viele. Jesus ist einer von ihnen und er trägt ihr Leid mit. Deshalb ist heute ihr Tag, der Tag der einsam Gestorbenen und der einsam Trauernden. Für sie bete ich: Dass sie im Angesicht des Todes etwas gespürt haben von der Liebe ihrer Angehörigen - durch alle Schutzwände hindurch. Ich bete, dass sie getröstet gestorben sind und ihren Weg zu Gott gefunden haben. Auch für die Angehörigen bete ich: Dass sie die Zeit der Trauer durchleben können und die Lebensfreude wieder zu ihnen zurückkehrt.

Musik: Hans Werner Henze, Fantasia For Strings – Tempo eines Trauermarsches

Jesus wird von seinem Freund Judas verraten

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus in den nächtlichen Garten. Dort wird es plötzlich laut. Der Garten füllt sich mit bewaffneten Leuten. Allen voran geht Judas. Er ist einer der zwölf Jünger Jesu, also eigentlich ein Freund. Doch nun hat er Jesus verraten und liefert ihn ans Messer.

Verrat hat viele Gesichter

Vom Freund oder der Freundin verraten. Das geschieht auch heute. Der Verrat hat viele Gesichter. Eines ist, wenn persönlichste Geheimnisse an andere ausgeplaudert werden. Ein anderes ist, wenn man seine Partnerin oder seinen Partner an jemanden im Freundeskreis verliert. Oder man wird einfach im Stich gelassen. Das beschämt und tut weh, es zerstört Vertrauen und Liebe.

Karfreitag: der Tag der Verratenen

Viele erleben das. Jesus ist einer von ihnen. Er trägt ihr Leid mit. Deshalb ist heute auch ihr Tag, der Gedenktag der Verratenen. Ich bete für sie, dass sie der Schmerz nicht für immer festhält. Dass sie wieder Vertrauen fassen – und Menschen um sich haben, denen sie sich anvertrauen können. Dass sie von neuem lieben können.

Musik: Flow, Canzonetta spirituale sopra alla nanna

Jesus, ein politischer Gefangener

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus in den nächtlichen Garten. Gerade wird er dort abgeführt. Warum? Weil Jesus aneckt. Er hat sich Feinde gemacht, denn er hat gegen die Interessen der Großen gehandelt. Wie? Indem er die Liebe gepredigt und gelebt hat. Er hat Kranke geheilt. Er hat Dinge getan, die eigentlich niemand tun kann: Sünden vergeben, Tote zum Leben auferwecken. Das weckt Hoffnungen. Hoffnungen auf ein anderes Leben. Da kommen Menschen womöglich auf dumme Gedanken. Sie träumen vielleicht gar, eine gerechtere Welt wäre möglich. Dagegen haben natürlich diejenigen etwas, die ganz gut leben von der Welt, wie sie ist. Sie sehen in Jesus einen Unruhestifter, einen Gotteslästerer. Heute würden ihn seriöse Nachrichten wohl als politischen Gefangenen bezeichnen.

Den Mächtigen im Weg sein

Den Mächtigen im Weg. Das erleben Menschen auch heute in vielen Ländern: Derzeit in Myanmar und Hongkong, wo Menschen nicht hinnehmen, dass die Machthaber ihnen die Demokratie nehmen wollen. Das geschieht in der Türkei, in Russland und Weißrussland, wo Menschen für mehr Demokratie kämpfen.

In besonders schrecklicher Form geschieht das im Jemen. Dort führen ausländische Mächte seit zehn Jahren gegeneinander Krieg. Inzwischen haben sie das Land fast völlig verwüstet und weite Teil der Bevölkerung ins Elend gestürzt. Hier und in vielen weiteren Regionen der Welt treten Menschen für ein besseres Leben ein. Damit stören sie die Eliten der Macht. Und die greifen hart durch, nehmen gefangen und foltern.

Karfreitag: Tag der Opfer von politischer Gewalt

Unter die Räder der Mächtigen kommen. Das erleben viele. Jesus ist einer von ihnen, und er trägt ihr Leid mit. Deshalb ist der Karfreitag ihr Gedenktag. Der Tag der Opfer von politischer Gewalt. Und ich bete für sie, dass sie freikommen, dass ihre Kraft zum Träumen und Kämpfen nicht versiegt und dass sie Gerechtigkeit erfahren.

Musik: „We Shall Overcome“

Jesus wird gefoltert, er wird zum Schmerzensmann

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus. Er ist im Gefängnis. Die Folterknechte haben ihm tiefe Wunden geschlagen. Eine Dornenkrone in die Kopfhaut gerammt. Jesus hat Schmerzen, er ist zum Schmerzensmann geworden.

Unter Schmerzen leiden viele Menschen, jeden Tag

Unter Schmerzen leiden auch heute viele. Bei uns in Deutschland nicht infolge von Folter, sondern weil sie krank sind, weil ihnen ihr eigener Körper zum Feind wird. Manche erleben keinen Tag ohne Schmerzen – im Kopf, im Rückgrat, im Bauch, im Fuß.

Jesus erlebt, was sie erleben, und er trägt ihr Leid mit. Deshalb ist heute ihr Gedenktag, der Gedenktag der Schmerzensfrauen und -männer. Ich bete für sie um Linderung, um Vergessen des Schmerzes, um Heilung.

Musik: Kay Johannsen, Du großer Schmerzensmann

Jesus muss auf dem Weg zur Hinrichtung sein Kreuz selbst tragen

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus. Er wird vom Gefängnis zur Hinrichtung geführt. Der Weg verläuft mitten durch die Stadt. In den engen Gassen von Jerusalem wird Jesus zur Schau gestellt. Er muss sein Kreuz selbst tragen, das Gerät, das ihn töten wird. Er bricht darunter zusammen, rappelt sich wieder auf. Viele säumen die Straßen und schauen ihm zu – manche still und teilnahmsvoll. Andere laut und hämisch. Der Evangelist Matthäus berichtet, dass sie ihn verspotten und sich über ihn lustig machen.

Mobbing im Alltag und in den sozialen Netzwerken

Verspottet werden. Das geschieht auch heute noch. Meistens nicht so blutig, dafür aber anders brutal. Zum Beispiel im Internet, in den Sozialen Medien: durch Gerüchte, durch Schmähungen und Drohungen. Aber auch offen auf der Straße attackieren Menschen andere, die ihnen nicht passen, mit Worten oder sogar mit Schlägen.

Karfreitag: Tag der öffentlich Bloßgestellten und der Beschämten

Beschämt und durch den Dreck gezogen. Das erleben heute viele. Jesus ist einer von ihnen. Und er trägt ihr Leid mit. Deshalb ist der Karfreitag auch der Tag der öffentlich Bloßgestellten und der Beschämten. Ich bete für sie, dass ihre Seelen keinen Schaden nehmen. Dass die Angriffe aufhören. Dass sie Menschen finden, die sie schätzen und verteidigen. Dass Regeln kommen, die Hass und Hetze stoppen im digitalen und im analogen Raum.

Musik: Johann Sebastian Bach, Concerto for Cor Anglais - 2. Adagio

Die Soldaten nageln Jesus auf das Kreuz

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus. Gerade schleppt er sich mit seinem Kreuz durch das Stadttor von Jerusalem. Dann hat er Golgatha erreicht, die Hinrichtungsstätte. Die römischen Soldaten nageln Jesus auf das Kreuz. Dann richten sie es auf. Wie so oft. Kreuzigen war damals eine normale öffentliche Hinrichtungsmethode, tausendfach erprobt. Es sollte lange dauern, die Opfer sollten leiden. Und sie sollten sich so hilflos wie möglich fühlen: fixiert an Armen und Beinen. Jede kleine Bewegung des Körpers tat zusätzlich weh.

Langsam und hilflos Sterben

Langsames, hilfloses Sterben. Das erleben viele auch heute. Nicht am Kreuz, aber von Krankheiten geschlagen. Therapien wirken nicht, Tumore wachsen unaufhaltsam, Lungen kollabieren, Nieren versagen allmählich. Und niemand kann etwas dagegen tun.

Karfreitag: der Tag der Todgeweihten

Dem Tode geweiht. Das sind letztlich alle Menschen. Jesus ist einer von ihnen. Er erlebt, was alle erleben, und er trägt ihr Schicksal mit. Deshalb ist der Karfreitag ihr Gedenktag. Der Tag der Todgeweihten. Und ich bete für sie, dass sie in ihren letzten Stunden getröstet sind. Und ohne Schmerzen. Und dass Gott sie gütig empfängt.

Musik: Philip Glass, Violin Concerto 2, Movement

Jesus ist nicht allein

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus. Sterbend hängt er am Kreuz. Dabei ist er nicht allein. Manche sind ihm gefolgt. Unter ihnen seine Mutter Maria und andere Frauen, die bis zum bitteren Ende bei ihm sein wollen. Auch der Jünger Johannes ist da. Hilflos müssen sie den Todeskampf Jesu mitansehen. Sie halten zu ihm. Und er zu ihnen.

Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten

Treu an der Seite von Sterbenden. Das tun auch heute viele. Sie begleiten Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Sie lassen sich vom Schrecken und der Hilflosigkeit nicht vertreiben. Vielmehr stehen sie ihnen bei – den geliebten Angehörigen, ihren Freundinnen und Freunden. Oder sie stehen als Pflegende an der Seite fremder Menschen. Großartig.

Heute ist ihr Gedenktag. Der Gedenktag derer, die Menschen im Sterben nicht alleine lassen. Ich bete für sie, dass sie genügend Kraft dafür finden und dass die Freude an ihrem eigenen Leben stark bleibt.

Musik: Johann Sebastian Bach, Präludium und Fuge cis-Moll

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Die Gedanken kehren zurück zu Jesus am Kreuz. Nach langen Stunden stirbt er. Im Ende schreit er, so berichtet der Evangelist Matthäus, den Anfang des 22. Psalms heraus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In diesen Worten steckt tiefste Verzweiflung.

Verzweifelt und unversöhnt sterben

Verzweifelt und unversöhnt gestorben. Das erleben auch heute Menschen. Sie gehen dahin, ohne mit ihrem Leben ins Reine gekommen zu sein. Ohne sich nach einem Zerwürfnis mit den Betroffenen ausgesöhnt zu haben. Ohne ihren Frieden mit Gott gemacht zu haben.

In Pandemiezeiten ist Versöhnung in letzter Minute oft nicht möglich

Und sie hinterlassen Menschen, die damit zurechtkommen müssen: mit dem Unerledigten, mit dem Unversöhnten und mit dem Tod. Das ist immer schwer. Doch jetzt, in Zeiten der Pandemie, ist das noch viel schwerer. Weil man zu den Angehörigen so wenig Kontakt halten konnte. Weil es so wenige Gelegenheiten für gute Gespräche gab. Weil man ihnen etwas schuldig bleiben musste. Oder man das zumindest befürchtet, denn Versöhnung in letzter Minute war oft nicht möglich.

Unversöhnt voneinander geschieden. Damit müssen viele zurechtkommen. Jesus trägt ihr Leid mit. Deshalb ist der Karfreitag auch ein Gedenktag für sie. In meinem Gebet hoffe ich, dass sie die Barmherzigkeit Gottes erfahren und Versöhnung in einer anderen Welt.

Musik: Ernest Bloch, From Jewish Life - 1. Prayer

Die Kreuzabnahme Jesu

Ein letztes Mal kehren die Gedanken zurück nach Golgatha. Dort geht jetzt die Aufgabe der römischen Soldaten ihrem Ende entgegen. Sie stellen sicher, dass Jesus wirklich tot ist. Den Leichnam übergeben sie den Angehörigen. Seine Habseligkeiten teilen sie unter sich auf. Es ist ihre Beute. Ihr Job. Dann gehen sie nach Hause. Vermutlich haben sie Feierabend und freuen sich darauf: Wochenende.

"Dieser Mann ist wirklich Gottes Sohn gewesen."

Aber der ein oder andere geht mit einem flauen Gefühl davon. War dieser Mensch wirklich ein Verbrecher, ein Aufrührer? Hatte er wirklich den Tod verdient? Einige erkennen, dass dem nicht so ist. Einer spricht es aus: „Dieser Mann ist wirklich Gottes Sohn gewesen.“

Mitmachen, obwohl man es eigentlich besser weiß

Mitmachen, obwohl man es eigentlich besser weiß. Das tun viele auch heute. Sie tun ihre Pflicht. Sie machen ihren Job. Und freuen sich auf das Wochenende. Die Soldaten in Myanmar, die auf friedliche Demonstranten schießen. Die Folterknechte in Syrien, die Regimekritiker quälen. Und viele andere, die mitmachen und dabei insgeheim wissen: Sie sind Teil von etwas Falschem. Sie sind Teil eines Systems, das so nicht sein sollte.

Auch sie stehen unter dem Kreuz Jesu. Deshalb ist heute ihr Gedenktag. Der Tag derer, die im falschen Leben stecken – und nicht herausfinden. Ich bete für sie. Um Barmherzigkeit. Aber auch um die Kraft zum Andersleben.

Jesus trägt das Leid für andere mit

Auf dem Weg ans Kreuz nimmt Jesus viel Leid auf sich, und er trägt es für andere mit. Deshalb ist der Karfreitag ein Gedenktag für alle, die mit Leid zu tun haben: mit Gewalt und Ungerechtigkeit, mit Schmerz, Tod und Trauer. Sollte irgendjemand davon gar nicht berührt sein? Kaum vorstellbar – in dieser Welt.

Jesus ist einer von uns

Was kann der Karfreitag für sie bedeuten? Sie können erkennen, dass sie damit nicht allein sind: „Wir sind viele. Das Elend wird gesehen. Es zählt etwas. Andere erleben es auch, auch Jesus. Er ist einer von uns.“

Doch das ist noch nicht alles. Denn Jesus ist viel mehr als ein Mensch unter Menschen. Ein Soldat unter dem Kreuz spricht es aus: Jesus Christus ist der Sohn Gottes. In ihm erlebt Gott alles in eigener Person mit. Damit zeigt Gott: „Es ist mir nicht egal, was euch geschieht. Ich lasse niemanden alleine. Nicht im Kampf um eine bessere Welt, nicht im Spott und im Schmerz, nicht im Sterben und in der Trauer und auch nicht am Ende des Lebens.“

Schmerz, Tod und Trauer behalten nicht das letzte Wort

Deshalb geschieht zuletzt das Unfassbare: Gott bereitet dem Ende ein Ende. Gott wird Jesus vom Tod auferwecken. Am Ostermorgen wird sein Grab leer sein. Das weckt Hoffnung: Schmerz, Tod und Trauer behalten nicht das letzte Wort. Da kommt noch was.

Musik: Lords of the Chords, Notre Pere, Op. 14

 

Bibelnachweis: Matthäus 26-27

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