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Gewaltlos wirkt
jacqueline macou/Pixabay

Gewaltlos wirkt

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Heute ist der Internationale Tag der Gewaltlosigkeit. Zum Gedenken an Mahatma Gandhi, der am 2.Oktober 1869  geboren wurde. Dieser kleine Mann mit der runden Brille und dem weißen Tuch um die Lenden trug mit spektakulären gewaltfreien Aktionen dazu bei, dass das riesige Land Indien von der britischen Kolonialmacht unabhängig wurde.

Gewaltfrei demonstrieren muss man üben

Dazu gehörten Sitzblockaden, große Demonstrationen und friedliche Märsche. Wer mitmachte, musste üben: das sich Hinhocken und Wegtragen lassen von der Polizei. Musste bereit sein, ungerechte Gesetze zu übertreten. Zivilen Ungehorsam zu leisten. Dafür Schläge oder gar Gefängnis hinzunehmen. Musste zutiefst überzeugt sein, dass die Wahrheit und das Gute nur durch Gutes und Güte zu bewerkstelligen sind. 

Gewissensentscheidung Einzelner und  Solidarität der Vielen

Gewaltfreie Aktionen sind also weder passiv noch lämmlein-brav. Sie sind fantasievoll und mutig. Sie leben aus der individuellen Gewissensentscheidung Einzelner und der Solidarität der Vielen. Wenn wir morgen den 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit feiern, dann gründet diese Feier auch im gewaltfreien Protest vieler Menschen gegen Unfreiheit und Willkür eines Staates.

Gewaltfreie Protestformen lösen Konflikte nachhaltig und billiger als jeder Militäreinsatz

Christian Führer war damals 1989 Pfarrer der Leipziger Nicolaikirche. Er hat die Friedensgebete mitorganisiert. Er sagte über die Menschen, die mit Kerzen vom Friedensgebet in der Kirche zum Protest auf die Straße zogen: „Mit einer Kerze in der Hand kann man keine Steine werfen.“ Internationale Studien belegen: Weltweit lösen gewaltfreie Protestformen Konflikte nachhaltig und billiger als jeder Militäreinsatz.

Meine Lieblingsgeschichte zur Gewaltfreiheit in der Bibel ist die: Da bringt ein aufgebrachter Mob eine Frau zu Jesus. Sie wurde beim Ehebruch ertappt. Die redlichen Bürger und frommen Gelehrten sind empört. „Steinigt sie!“, rufen sie. Ich stelle mir die Stimmung vor. Die Mischung aus Gewalt, Mordlust, dreckigen Fantasien.

„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“

Jesus tut in dieser aufgeheizten Atmosphäre etwas Ungewöhnliches: Er setzt sich einfach auf den Boden. Inmitten der trampelnden Füße, die so gern zutreten würden. Und Jesus schweigt. Inmitten der „Steinigt sie“-Schreie. Dann malt er in den Sand. Dabei wünschen sich die Wutbürger so sehr scharfe Worte, eine harte Verurteilung. Und was tut dieser Rabbi aus Nazareth? Malt Kringel in den Staub. Dann blickt er auf und sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“

Die Wahrheitssuche erlaubt es nicht, dem Gegner Gewalt anzutun

Gandhi sagte das so: „Die Grundbedeutung von Gewaltfreiheit ist Festhalten an der Wahrheit, […] Bei der Anwendung von Gewaltfreiheit entdeckte ich schon sehr früh, dass die Wahrheitssuche es nicht erlaubt, dem Gegner Gewalt anzutun. Er muss vielmehr durch Geduld und Mitgefühl von seinem Irrtum abgebracht werden.“

Stimmt. In der Bibelgeschichte gehen die Menschen vom Platz. Einer nach dem anderen. Am Ende steht Jesus mit der Frau allein. Er fragt sie: „Hat dich niemand verurteilt?“ „Nein“, sagt die Frau. Jesus erwidert: „Dann tu ich das auch nicht. Geh und sündige hinfort nicht mehr.“

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