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Dank und Verantwortung für die Tiere
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Dank und Verantwortung für die Tiere

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Pfarrer, Marburg
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Es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen jetzt im Herbst: Äpfel pflücken. Draußen, an einem sonnigen Tag auf die Leiter steigen oder noch lieber direkt in die Äste. Mich nach den Früchten recken und sie dann vorsichtig in den Korb legen. Zu Hause gibt’s dann Apfelkuchen mit Schlagsahne. Da geht mir das Herz auf. Dankbarkeit durchströmt mich, wenn ich etwas genießen kann, das ich selber ernten durfte.

Heute wird in der Evangelischen Kirche das Erntedankfest gefeiert. Mehr Menschen als sonst gehen zum Gottesdienst. Die meisten von uns ernten – so wie ich - nur noch ganz selten etwas mit den eigenen Händen. Aber alle freuen sich, wenn sie den geschmückten Altar sehen: Äpfel, Pflaumen, Tomaten und Kohlköpfe. Ein Strauß Sonnenblumen und Getreidegarben. Es duftet nach dem frischen Brot, das in der Mitte liegt neben den Trauben. Brot und Wein, das ist, was uns nährt und Freude macht. Hier ist es anders als im Supermarkt, wo man jeden Tag eine Fülle von Obst und Gemüse liegen sieht, um einzukaufen. Heute geht es darum, zu schauen und zu staunen. Diesem Gefühl Raum zu geben: Du bist reich beschenkt. Du lebst von etwas, das du dir nicht selber geben kannst. Bei aller Arbeit, auch in jedem anderen Beruf, bei aller Anstrengung – dass du jetzt hier stehst und atmest, hast du nicht selbst in der Hand. Du kannst es nur annehmen. Und es gibt dir Kraft. Erntedank ist für mich eins der schönsten Feste im Jahr.

Ich überlege, was wäre, wenn auf dem Altar nicht nur Früchte und Blumen zu sehen wären, sondern auch eine Dose Thunfisch. Frankfurter Würstchen oder in Nordhessen Ahle Wurscht. Produkte von Tieren: Milch, Käse, Eier, Honig. Gilt es nicht auch dafür zu danken? Ledergürtel, ein Daunenkissen. Impfstoff, der nur von Tieren gewonnen werden kann.

Da fällt es mir allerdings nicht leicht, nur dankbar zu sein. Besonders wenn es um die Tiere geht, kommt zum Danken das Denken. Und auch als Nicht-Vegetarier bleiben für mich einige Fragen offen: Gehören denn diese Sachen auf den Altar? Dürfen wir Tiere essen und unter welchen Bedingungen?  Was sagt unser Glaube zum Verhältnis von Menschen und Tieren? 

Die Bibel erzählt: Am Anfang der Schöpfung waren alle friedlich beieinander. Spatzen und Katzen, Schmetterlinge und Schwalben, Menschen und Waschbären. – So wie Gott sie geschaffen hat. Am Anfang, im Paradies. Die Bibel schreibt „Gott schuf die großen Walfische … und alle gefiederten Vögel, und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch… und Gott sah an alles, was er geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Da ist also kein Unterschied, wie Gott Tiere und Menschen schafft. Er spricht beide an. Das heißt, auch die Tiere können Gottes Stimme hören. Gott segnet beide, Menschen und Tiere.

Aber haben Tiere auch eine Seele? „Du sendest deinen Odem aus, so werden sie geschaffen“ heißt es von Menschen und Tieren im Psalm 104. Gottes Atem ist das, was nach alttestamentlicher Vorstellung einem lebendigen Wesen die Seele gibt. Wer ein Tier zu Hause hat, wer ein Tier liebt, spürt diese Nähe. Das Tier tut der Seele gut. Tiere können kranke Seelen heilen. Schwierige Jungs im ruppigen Alter, an die kaum einer ran kommt, machen eine Wanderung mit Alpakas – und kommen anders zurück als sie losgegangen sind. Eine Frau um die 50, berufstätig, erzählt: „Einfach in der Früh meinen Esel in den Arm zu nehmen, ist für mich wie eine Therapie. Das Gefühl zu haben, dass da einer ist, der sich freut und auch Ruhe zulässt. Und wenn ich abends nach Hause komme, wartet meine Miezekatze auf mich, dann nehme ich sie in den Arm. Sie schnurrt und ich bin wieder ich.“

Viele Menschen erleben ihr Paradies bei den Tieren. Zum Beispiel im Zoo. Der kleine Eisbär Knut wurde vor ein paar Jahren in Null Komma Nichts zum Popstar der Nation. Katzenvideos haben eine Spitzenreichweite bei YouTube. Tiersendungen im Fernsehen stehen bei uns Deutschen auf Platz zwei gleich nach den Krimis. Die exotische Unterwasserwelt auf dem Korallenriff. Oder eine Reise in die Serengeti zu Löwen und Elefanten – wie früher mit Bernhardt Grzimek. Oder an den Südpol zu den sagenhaften Kaiserpinguinen.

Doch was aussieht wie ein Paradies, ist schon lange keins mehr. Aber von paradiesischen Zuständen sind wir weit entfernt. Schon damals, gleich am Anfang gab es einen Bruch. Die Menschen haben die guten Regeln gebrochen, die Gott ihnen für das Leben im Garten gegeben hatte. Sie sollten ja herrschen über die Tiere und Pflanzen. Doch das hieß, sie sollten Verantwortung tragen. Sie sollten den guten Garten Gottes bebauen und bewahren. Sie sollten zu den Tieren sein wie der gute Hirte, der das verirrte und abstürzte Schaf sucht, und pflegt und sie alle zusammen auf einer guten Weide hütet. Doch das war den Menschen nicht genug, sie wollten „sein wie Gott“, keine Regeln über sich akzeptieren, auf keinen Rücksicht nehmen müssen. Und so wurde aus der Krone der Schöpfung ein Diktator über die Schöpfung. Aus der guten Ordnung Gottes wurde eine menschliche Willkürherrschaft. Mit bösen Folgen bis heute.

33 Millionen Haustiere werden in Deutschland gehalten. Viele leiden. Werden verhätschelt, überfüttert, krank. Dann zum Arzt geschleppt. Neue Hüften für den Dackel. Manchen Arten werden so extreme Merkmale angezüchtet, dass sie sich durchs Leben quälen. 12 Millionen Hauskatzen gibt’s. Dürfen sie in der Stube bleiben den ganzen Tag? Darf man sie raus lassen, so dass sie Singvögel jagen?

Auch der Zoo ist zwiespältiges Vergnügen. Sollte man wirklich bei uns Eisbären halten? Delfine in kleinen Becken? Huftiere, die eine Steppe brauchen und nicht nur einen Hektar?

Am schlimmsten für die Tierwelt ist unsere Lebensweise. 74 Tierarten sterben jeden Tag aus durch unser Verschulden. Jeden Tag! Wir müssen schon gar nicht mehr wie die Cowboys vor 150 Jahren durch die Prärie reiten und massenhaft den großen Büffel abknallen, um eine Art zum Verschwinden zu bringen. Es reicht aus, wie wir unseren Alltag leben, um dieses dauernde Artensterben im Gang zu halten.

750 Millionen Tiere werden jedes Jahr in Deutschland geschlachtet. Die meisten wurden unter unwürdigen Verhältnissen gehalten. Das ist keine einseitige Schuldzuweisung an die Landwirte, die auf ihren Bauernhöfen, um überleben zu können, auf moderne Betriebsformen umgestiegen sind. Es geht uns alle an. Unser Kauf-Ernährungsverhalten. 47 % lehnen bei einer Umfrage ab, dass man Tiere töten darf. Aber keine 10 % ernähren sich vegetarisch. Nur 2 % der Eier sind Bio Freilandeier. 6 Puten werden gehalten auf einem Quadratmeter. Die großen Tiere können kaum umfallen, wenn eins stirbt von den sechsen. Der Liter Milch kostet 40 Cent. Die ganz großen Betriebe werden auch noch die letzten mittleren kaputt machen und nachher den Preis allein bestimmen. Keine Politik steuert dagegen. Die Meere sind fast leergefischt. Aber wir bauen ja Lachsfarmen und füttern die Fische. Das Eiweiß kommt von Sojabohnen aus Brasilien, wofür dort die Urwälder fallen. Es schreit zum Himmel. Und unser reiches Deutschland ist ganz weit vorne beim Verbrauch.Mehr als drei Erden brauchte man, wenn alle auf der Welt so leben wollten wie wir. So stand es am 8. August in der Zeitung. An diesem sogenannten Erdüberlastungstag hat die Welt bereits verbraucht, was ihr für ein Jahr an Öko-Ressourcen zur Verfügung steht. Wir Deutschen haben das sogar schon bis Ende April geschafft. Und eine der Hauptursachen ist der hohe Flächenbedarf für die Fleischproduktion.

Der Mensch als uneingeschränkter Herrscher über die Tiere? Zu diesem Missverständnis hat die Kirche leider Jahrhunderte lang beigetragen. Doch diese Sicht ist falsch. Wenn man genau hinschaut, ist sie nicht mit der Bibel zu begründen.

Damals nach dem Bruch im Paradiesgarten versucht Gott die Erde zu reinigen von der Bosheit des Menschen. Er schickt die Sintflut. Und rettet nicht nur die Menschheit mit Noah und seiner Familie, sondern auch die Tiere. Von jeder Art ein Paar, damit das Leben für alle weitergehen kann. Gleich nach der Flut schließt Gott einen Bund mit den Überlebenden. 1. Mose 9 „Siehe ich richte einen Bund auf mit euch und euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch, mit Vögeln und Vieh und allem was aus der Arche gegangen ist.“ Das ist ganz außergewöhnlich. Gott schließt auch mit den Tieren einen Bund. Das zeigt den hohen Stellenwert, den die Bibel den Tieren gibt. Gott verspricht jedem Geschöpf, dessen Existenz bedroht ist, seine besondere Zuwendung.

Erst nach und nach verstehen wir, was das bedeutet. Wir lernen. Manchmal hat es lange gedauert, bis die Menschheit einen großen Schritt weiter gekommen ist. Zum Beispiel beim Ende der Leibeigenschaft. Was für eine Entdeckung, wahrzunehmen, dass auch die, die nicht zu unserem Familienclan gehören, Menschen sind. Oder die Einsicht zur Abschaffung der Sklaverei: Zu erkennen, dass auch die, die eine andere Hautfarbe haben, nicht minderwertig sind und nicht wie Tiere verkauft, ausgebeutet und ohne Strafe getötet werden dürfen. Wir kommen weiter. Wir werden menschlicher, wenn wir lernen, Tiere anders zu behandeln. Das wäre ein guter nächster Schritt.

Albert Schweizer hat das schon vor über 50 Jahren in seinem Urwaldhospital vorgelebt. Er bittet seine Mitarbeiter, nicht auf Wegen zu gehen, wo die Ameisen ihre Straße haben, damit sie nicht zertreten werden. Eine Spinne bringt er raus ins Freie, statt sie totzuschlagen. Lieber soll man die Löcher in der Wand zu machen als die Ratten zu vergiften. Seine Katze sitzt mit ihm am Schreibtisch. Morgens als erstes, füttert er seinen Pelikan. Und das ist bei ihm keine kuschelige Tierliebhaberei sondern christlich humanitäre Überzeugung. Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das Leben will, sagt er.

Wie lässt sich das leben, diese große Verbundenheit von allen mit allen? Ganz sicher nicht nur auf der Basis von Gefühlen und Idealen. Ich denke, die Unterschiede der einzelnen Lebewesen müssen respektiert werden. Mensch ist nicht Tier. Und Tier ist nicht Pflanze. Menschen und Tiere ernähren sich von Pflanzen und Tieren. Auch das Leben eines Salatkopfs oder einer Kartoffel wird ausgelöscht, wenn wir sie essen. Auch sie wollen leben, wachsen und sich vermehren. Peter Wohlleben ist ein zur Zeit angesagter Bestsellerautor. Nicht nur „Das Seelenleben der Tiere“, auch das „Geheime Leben der Bäume“ hat er beobachtet. Auch Pflanzen sind für ihn ganz sensible Wesen, die zum Beispiel Notsignale aussenden, wenn sie verdursten. Doch menschliches Leben ist nun einmal darauf angewiesen, sich von anderen Lebewesen zu ernähren. So wie wir es auch bei den Tieren sehen. Das ist unsere Natur, von Anfang an. Wir wissen heute, man kann sich ohne Fleisch ernähren. Es geht ohne das Töten von Tieren. Aber nicht ohne dass wir Pflanzen zu uns nehmen. Unser Leben ist immer ein Leben auf Kosten anderer.

Das macht es schwer, moralisch eindeutig zu urteilen. „Du sollst herrschen über die Fische im Meer und die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh“, so der biblische Auftrag. Wir kommen nicht umhin, als die stärksten Lebewesen der Erde unsere Macht anzunehmen. Doch das Herrschen können wir neu verstehen. Weg von der Willkür und der Maßlosigkeit hin zur Verantwortung, zum Maßhalten und zur Selbstbegrenzung. Es ist ein Paradigmenwechsel, bei dem Mitgefühl und Respekt an erster Stelle stehen. Die Ehrfurcht vor dem Leben und vor dem, der es schenkt

Wer sich ein Haustier anschafft, sollte vorher prüfen, ob die Bedingungen stimmen. Die beste Frage dazu ist: Will ich denn selber so leben, wie dieses Tier bei mir leben wird?

Die meisten von uns können weniger Fleisch essen. Vielleicht so wie noch vor wenigen Jahrzehnten: Sonntags einen richtig guten Braten, und in der Woche diese ganz ausgezeichneten neuen vegetarischen Rezepte. Das ist nicht nur Verzicht, sondern auch gesund und lecker.

Und selbstverständlich kann man darauf achten, woher das Fleisch kommt: Möglichst aus artgerechter Haltung, Von einem Betrieb in der Region. Zu Preisen, die es den Bauern möglich machen, davon zu leben ohne Massentierhaltung,

Ja, es bleibt dabei: das Erntedankfest ist eins der schönsten Feste für mich im Jahr. Ich freue mich an Pflanzen und Tieren. Ich staune über die Weintrauben, die in diesem Jahr sogar im kühlen Marburg reichlich bei uns über dem Balkon wachsen. Und ich kann mich sogar freuen über die Amsel, die kommt und von den Trauben nascht. Ein munterer kleiner Dieb, anmutig und wachsam, aber doch so versessen, dass ich schnell ein paar schöne Fotos von ihm machen kann. Ich freue mich über die Tiere auf der Weide, wenn ich durchs Waldecker Land fahre. Und ich freue mich über die Bäuerin, die ihren Kühen immer noch einen Namen gibt und jedes Tier genau kennt. „Alles was Atem, hat lobe den Herrn“, heißt es im letzten Vers der Psalmen. Ich bin sicher: Die Dankbarkeit, das Staunen und die Liebe zu den wunderbaren Geschöpfen Gottes sind die Impulse, die uns am stärksten zu einem neuen Umgang miteinander bewegen.

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