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Alles zu seiner Zeit
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Alles zu seiner Zeit

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land
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In diesem Sommer traute ich meinen Augen nicht. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt in Nürnberg entdeckte ich ein Geschäft, das das ganze Jahr hindurch frische Lebkuchen verkauft. Das machte mich neugierig: Bei meiner Onlinerecherche staunte ich nicht schlecht: Zahlreiche Onlinehändler liefern von Januar bis Dezember frische Lebkuchen in allen Variationen bis zur Haustür. Mir ist das ein Rätsel, wie solche Geschäfte 12 Monate nur mit dem Verkauf von Lebkuchen über die Runden kommen, vor allem in den Sommermonaten. Im Freibad ein Päckchen Lebkuchenherzen verputzen, während um mich herum Eis gegessen wird, das hätte vielleicht auch was. Aber ich persönlich käme nie auf die Idee, obwohl ich den Geschmack von Lebkuchengewürz fürs Leben gern mag. Und den meisten Leuten, die ich kenne, geht es da ähnlich.

Aber die Saison ist nun mal kurz, und deshalb gibt es Lebkuchen und Spekulatius schon ab September in allen Supermärkten. Und man kauft und isst, weil es vor Weihnachten doch am besten schmeckt. Und wenn es dann Weihnachten ist, haben viele von allem schon genug und das Gebäck trocknet im warmen Wohnzimmer vor sich hin oder wird in den Läden zum halben Preis verramscht.

In meiner Kindheit galt das ungeschriebene Gesetz, dass es vor Weihnachten keine Weihnachtsplätzchen gibt. Na ja, ganz so streng wurde es dann doch nicht gehandhabt, denn meine Geschwister und ich durften von allem, was gebacken wurde, probieren. Und wenn etwas zu dunkel oder sonst wie missraten aus dem Ofen kam, wurde das auch freigegeben.

Früher hatten alle großen Feste eine Fastenzeit, die ihnen vorausging. Das hatte natürlich religiöse Gründe: Die Menschen wollten sich durch nichts ablenken lassen, damit sie sich aufs Wesentliche konzentrieren konnten und auch innerlich bereit wurden für das kommende Fest. Das klingt, wie wenn das Genießen mies gemacht werden sollte, aber am Ende ist es gerade umgekehrt: So richtig genießen kann ich nur, was ich nicht immer habe und auch manchmal vermisse.

Wenn ich alles, wonach mir gerade ist, sofort bekommen kann, dann ist es schon gar nicht mehr so reizvoll. Das alte Spiel mit Sehnsucht und Erfüllung! Es ist eine richtige Kunst, ja eine Lebenskunst, die man heute wieder mehr entdecken müsste. Das ist mit allem so: mit den Beziehungen, in denen ich lebe, mit der Freizeit, die ich mir gönne, mit den Lebensmitteln, die ich immer und jederzeit verfügbar habe – und natürlich mit den Lebkuchen. Sie schmecken für mich bis heute auch nur so richtig in der Weihnachtszeit. Der Advent ist die Zeit, in der ich mich drauf freuen kann.

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