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Wird Gott überflüssig, wenn es den Menschen gut geht?
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Wird Gott überflüssig, wenn es den Menschen gut geht?

Prof. Dr. Gerhard Stanke
Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Stanke, Domkapitular
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„Wo der Staat seine Bürger gut versorgt, sinkt die Attraktivität der Religion“ – so lautet die Überschrift eines Artikels in einer großen deutschen Tageszeitung. Dieser Artikel stützt sich auf eine Umfrage unter knapp einer halben Million Menschen aus 155 Nationen. In ihnen stellen Christen oder Muslime oder Hindus oder Buddhisten die Mehrzahl der Gläubigen. Wenn es den Menschen gut geht, fragen sie weniger nach Gott, ist das Fazit der Forscher. Religion soll vor allem das Bedürfnis nach Sicherheit stillen. Wer sich in seiner Lebens-situation abgesichert fühlt, sucht weniger Hilfe bei einem höheren Wesen. Gott hat dann seine Funktion verloren.
Stimmt also das Wort: Not lehrt beten? Hat Karl Marx recht, wenn er sagt: „Religion ist das Opium des Volkes?“ Damit betäubt sich, das Volk statt die gesellschaftlichen Verhältnisse auf Gerechtigkeit hin zu verändern. Wenn es den Menschen wirtschaftlich besser geht, wird die Religion nach Marx von allein sterben. Allerdings haben die politischen Systeme, die sich auf ihn beriefen, darauf nicht gewartet, sondern sie bekämpften die Religion mit allen Mitteln. Das ist auch heute noch in mehreren kommunistischen Ländern so. Wird Gott also im Denken der Menschen überflüssig, wenn die gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Wohlstand führt? Hat Gott, den man in der Not anruft, wirklich ausgedient, wenn die Not auf andere Weise behoben wird?

 Musik 1: J.S. BachII. Andante aus dem Konzert A-moll für Violine und Orchester, CD: Violine  Track 5, Dauer: 5:29

Die Bibel scheint die Vorstellung zu bestätigen, dass Gott die richtige Ordnung in dieser Welt am Herzen liegt. Denn die Propheten des Alten Testamentes, die in seinem Namen auftreten, verkünden ihn als Anwalt der Schwachen und Rechtlosen. Genannt werden dabei öfter die drei Gruppen: der Witwen, Waisen und Fremden. Denn sie waren damals rechtlos  Diese Gruppen hatten niemanden, der in der Öffentlichkeit für ihr Recht hätte eintreten können: Den Fremden fehlten die Familie, den Witwen der Mann, den Kindern ihre Eltern. Eigentlich sollten die Könige für die Rechte der Schwachen eintreten. Aber sie nahmen ihre Aufgabe oft nicht wahr und stellten sich stattdessen auf die Seite der Reichen und Mächtigen,. Oft genug nutzten sie selbst ihre Position aus und unterdrückten selbst. Die Propheten protestierten dagegen. Jesaja klagte über Jerusalem: „Ach, sie ist zur Dirne geworden, die treue Stadt. Einst war dort das Recht in voller Geltung, die Gerechtigkeit war dort zu Hause, jetzt aber herrschen die Mörder….deine Fürsten sind Aufrührer und eine Bande von Dieben, alle lassen sich gerne bestechen und jagen Geschenken nach. Sie verschaffen den Waisen kein Recht, die Sache der Witwe gelangt nicht vor sie.“ (Jes 1,21. 23) Und Jeremia wird aufgetragen, Folgendes im Palast des Königs zu sagen: „König von Juda, der du auf dem Thron Davids sitzt, höre das Wort des Herrn, du selbst, deine Diener und deine Leute, die durch diese Tore kommen. So spricht der Herr: Sorgt für Recht und Gerechtigkeit und rettet den Ausgeplünderten aus der Hand des Gewalttäters! Fremde, Waisen und Witwen bedrängt und misshandelt nicht; vergießt kein unschuldiges Blut an diesem Ort!“ (Jer 22,2f)
Und wenn die Menschen meinten, sie könnten Gott durch Opferfeste besänftigen, da täuschten sie sich. Im Namen Gottes sagt deshalb der Prophet Jesaja: „Bringt mir nicht länger sinnlose Gaben, Rauchopfer, die mir ein Gräuel sind. Neumond und Sabbat und Festversammlung – Frevel und Feste - ertrage ich nicht. Eure Neumondfeste und Feiertage sind mir in der Seele verhasst, sie sind mir zur Last geworden, ich bin es müde, sie zu ertragen. Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut. Wascht euch, reinigt euch! Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen.“ (Jes 1,13-17) Zusammengefasst stellt das Alte Testament also fest: Gott ist der Anwalt der Gerechtigkeit. Er ist der Anwalt der Schwachen und Rechtlosen.

Musik: Frantisek Xaver Brixi aus dem Konzert für Orgel und Orchester Nr. 8 D-Dur, Adagio und Allegro, CD 2: Brixi, Orgelkonzerte Track 11, Dauer: 1:30

Ähnlich auch im Neuen Testament. In den Seligpreisungen der Bergpredigt setzt auch Jesus neue Maßstäbe und ruft zur Umkehr auf. Er preist die Armen selig und die nach Gerechtigkeit Hungernden und die um seines Namens Willen Verfolgten. Und das nicht, weil diese Menschen in einer bedrängten Situation sind, sondern weil Gott an sie denkt und sich ihrer annimmt. Trauernde werden getröstet, Hungernde satt, und den Verfolgten wird das Reich Gottes versprochen. (Vgl Mt 5,3-12)
Um deutlich zu machen, was sich ändert, wenn Gott eingreift oder wenn sein Reich anbricht, setzt er Zeichen: Er heilt Kranke, holt Ausgegrenzte in die Gemeinschaft zurück, ruft zur Umkehr, schenkt den schuldig Gewordenen Vergebung und schafft damit einen neuen Anfang. Allerdings kommt seine Botschaft nur bei einem Teil des Volkes an.
Bei denen nämlich, die Not, Unsicherheit und Belastung am eigenen Leib erfahren. Diejenigen die das Sagen haben, fühlen sich herausgefordert und betreiben Vernichtung. Aber Gott verlässt ihn nicht. Er verhindert zwar seine Hinrichtung nicht, aber er lässt Jesu nicht im Tod. Im Gegenteil: Er bestätigt ihn. Er ruft ihn in ein neues Leben. Und nicht nur das: Er gibt ihm den Platz zu seiner Rechten. Das heißt: Jesus ist der Maßgebende. Nicht nur seine Worte, sondern auch seine Taten ja sein ganzes Leben geben den entscheidenden Maßstab vor, nach dem sich jeder zu richten hat. Und alle Menschen werden nach seinem Maß gerichtet. Das, was Jesus gesagt und getan hat, ist ganz im Sinn Gottes. Gott will Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Es ist also ganz in seinem Sinn, wenn Abhängige befreit, Hunger und Not überwunden werden, und eine gerechte soziale und freiheitliche Ordnung aufgebaut wird, damit es den Menschen gut geht und sie in Sicherheit leben können. Und ausgerechnet wenn das erreicht ist, dann vergessen die Menschen Gott. Dann brauchen sie ihn nicht mehr. Macht er sich dann also selbst überflüssig, wenn das Zusammenleben der Menschen in seinem Sinn gestaltet wird?

Musik: Frantisek Xaver Brixi aus dem Konzert für Orgel und Orchester Nr. 8 D-Dur, Adagio und Allegro, CD 2: Brixi, Orgelkonzerte Track 12, Dauer: 1:30

Bernhard von Clairvaux, einer der beeindruckendsten Theologen des 13. Jahrhunderts, schreibt: „Als Gott sein edles Geschöpf, den Menschen, wiedergewinnen wollte, sagte er zu sich selbst: Zwinge ich ihn gegen seinen Willen, so habe ich einen Esel, keinen Menschen. Denn er wird keineswegs von selbst und aus freien Stücken zu mir kommen…Soll ich Eseln mein Reich anvertrauen? Soll ich als Gott um Ochsen werben? Damit er freiwillig kommt, will ich ihm Schrecken einjagen. Vielleicht bekehrt er sich dann und lebt. Und Gott drohte mit den schlimmsten Dingen, die erdenklich waren, mit ewiger Finsternis, mit Würmern, die nie sterben, mit einem Feuer, das nie erlöscht. Aber der Mensch ließ sich davon nicht beeindrucken.
Da sagte Gott: Er hat nicht nur eine Anlage zur Angst, sondern auch eine Anlage zur Begierde. Ich will ihm das versprechen, was ihm am ersehnlichsten erscheint…. Wenn die Menschen schon derart an diesem elenden, mühsamen und kurzfristigen Leben hängen, wird sie gewiss die Aussicht auf ein ruhiges, ewiges, seliges Leben faszinieren. So versprach er ihnen das ewige Leben; er versprach ihnen, was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört und was in keines Menschen Herz gedrungen ist.
Als Gott sah, dass auch das nichts half, sagte er sich: Jetzt bleibt noch eines übrig. Im Menschen wohnen nicht nur die Angst und die Begierde, sondern auch die Liebe, und nichts zieht ihn stärker. So ging Gott ins Fleisch ein Soweit Bernhard von Clairvaux. Im Menschen Jesus von Nazareth hat Gott seine Liebe zu uns Menschen offenbar gemacht – mit aller Konsequenz Gott will nicht aus Angst vor Strafe gesucht werden, auch nicht , weil man sich viel von ihm verspricht. Er offenbart sich als Liebender und will wieder geliebt werden.
Wer Gott nur sucht, weil er von ihm Schutz und Sicherheit und Erfüllung seiner Wünsche erwartet und der ihn dann, wenn diese Bedürfnisse gestillt sind, nicht braucht, erwartet zu wenig. Gott ist anspruchsvoller: Er will geliebt werden und zwar um seiner selbst willen.
Die Propheten des Alten Testamentes haben Gott nicht nur als Anwalt der Gerechtigkeit verkündet. Sie haben das Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel auch unter dem Bild des Ehebundes dargestellt. Die Liebe zwischen Bräutigam und Braut bzw. Mann und Frau wird zum Abbild der Verbindung Gottes mit dem Volk Israel. Und das dürfen wir auf alle Menschen beziehen. Sehr anschaulich dazu ein Wort des Propheten Jesaja:„ Nicht länger,“ sagt er – „nennt man dich ‚Die Verlassene‘ und dein Land nicht mehr ‚Das Ödland‘, sondern man nennt dich ‚Meine Wonne‘ und dein Land ‚Die Vermählte‘. Denn der Herr hat an dir seine Freude und dein Land wird mit ihm vermählt. Wie der junge Mann sich mit der Jungfrau vermählt, so vermählt sich mit dir dein Erbauer. Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich.“ (Jes 62,4 f)
Es geht also nicht einfach um die Erfüllung eines Bedürfnisses, z.B. nach Sicherheit und Gerechtigkeit, sondern es geht um eine persönliche Beziehung zu Gott. Es geht um Liebe. Denn in ihr stecken zwei Dimensionen: Wer liebt, der ist bereit zu geben und zu schenken. Und wer liebt, der möchte auch wieder geliebt werden. Er will geben und auch empfangen. Und er möchte, dass der Andere dies bemerkt, und ihn auch liebt. Darf man auch so von Gott denken? Ich glaube schon. Gott will nicht nur als Nothelfer gesucht werden, sondern er will um seiner selbst willen geliebt werden. Es wäre doch z. B. merkwürdig, wenn jemand vor der Eheschließung fragen würde: Was habe ich davon, wenn ich jetzt meine Partnerin oder meinen Partner heirate? Natürlich hat jemand unendlich viel davon, wenn er einem Menschen begegnet, der mit ihm gemeinsam den Weg durchs Leben gehen will. Das ist etwas ganz Kostbares. Aber: Er heiratet wahrscheinlich oder hoffentlich doch nicht nur deshalb, weil er etwas davon hat, sondern weil er den Partner liebt.
Deshalb darf die Frage Gott gegenüber auch nicht lauten: Was habe ich davon, wenn ich an Gott glaube? Selbstverständlich habe ich unendlich viel davon, wenn ich den Gott gefunden habe, den Jesus verkündet hat. Meine ganze Zukunft über den Tod hinaus hängt ja davon ab. Aber: Es geht eben nicht um eine Geschäftsbeziehung! Der Glaube ist Antwort auf die Erfahrung, dass Gott mich liebt, leidenschaftlich und ganz persönlich. Und: Er will wieder geliebt werden. Dann ist er auch nicht überflüssig, wenn es mir äußerlich gut geht. Denn: Nicht die Wunscherfüllung, sondern die Liebe ist der Grund des Glaubens.  

Musik: J.S. Bach,  Gott der Herr ist Sonne und Schild, Eingangschor aus der gleichnamigen Kantate, CD 2: Bach Kantaten Track 1, Dauer: 5:00

Musikauswahl: Regionalkantor Thomas Wiegelmann, Bad Orb

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