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Impfstoff für die Seele - das gedankliche Immunsystem stärken
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Impfstoff für die Seele - das gedankliche Immunsystem stärken

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Es ist rum, dieses Corona-Jahr 2020 - und manche werden sagen: Gott sei Dank! Heute starten wir in ein neues Jahr. Von dem hat der hessische Ministerpräsident Bouffier schon im Dezember gesagt: „Es muss das Jahr werden, in dem wir Corona überwunden haben.“ (Vgl.  https://www.hessenschau.de/politik/bouffier-stimmt-auf-corona-einschraenkungen-auch-im-neuen-jahr-ein,bouffier-ausblick-100.html, aufgerufen am 18.12.20, 15.00 Uhr). Das wär was! Corona hinter mir lassen, neu durchstarten ohne dieses Virus, endlich wieder einen halbwegs normalen Alltag haben!

Wie lange müssen wir noch mit ihm leben?

Das letzte Jahr hab ich als wahnsinnig anstrengend erlebt: Erst der Schock über den Lockdown im Frühjahr, als noch keiner so richtig wusste, was ein Lockdown eigentlich ist. Die Hamsterkäufe. Die Sorge und Unsicherheit vieler Menschen in Bezug auf das „richtige“ Verhalten. Die Angst vor Ansteckung. Die Trauer über Verstorbene. Und schließlich auch die Wut über sogenannte Querdenker und Coronaleugner, die auf verantwortungslose Art und Weise ihr Recht auf Meinungsfreiheit einfordern. Und jetzt sind wir schon wieder mitten im Lockdown. Zwar kennen wir das Prozedere mittlerweile, und es gibt kaum noch jemanden, der die A-H-A-Regel nicht kennt. Trotzdem bleibt die Unsicherheit: Was wird das nächste Jahr wohl bringen? Sicher: Der Impfstoff wird bestimmt zur Verbesserung der Lage beitragen. Er wird gegen das Virus ankommen, davon ist die Wissenschaft überzeugt – und ich auch. Trotzdem: Wir werden noch eine ganze Weile mit dem Virus leben müssen.

Gibt’s einen Impfstoff für die Seele?

Ich merke: Da ist trotzdem noch so etwas wie eine tiefliegende Angst, dass mein Leben bedroht sein könnte – und das Leben der Menschen, die ich liebe. Ich fürchte: Selbst, wenn meine Eltern geimpft sind, und auch, wenn ich geimpft bin, geht diese Angst nicht einfach weg. Dagegen braucht es so etwas wie eine andere Art von Impfung. Ich brauche nicht nur etwas, das mein körperliches Immunsystem aktiviert und stärkt. Ich brauche auch Stärkung für mein gedankliches, mein seelisches Immunsystem.

Das Gute an der Krise

Meine Seele gegen die Sorgen und Ängste zu stärken und zu schützen: Das ist gar nicht so leicht, auch wenn es sich manchmal so anhört: positiv denken! Mir hilft es aber tatsächlich, gerade in der Krise auf das Gute zu schauen. Zum Beispiel gab es an den Schulen und in Firmen einen enormen Digitalisierungsschub. Homeoffice wurde ermöglicht. Die Natur hat aufgeatmet, weil der viele Pendelverkehr weggefallen ist. Kreative Angebote sind quasi aus dem Boden geschossen, gastronomisch, kulturell und auch kirchlich. Viele Menschen haben wiederentdeckt, wie erholsam ein Spaziergang sein kann. Mir würden da noch mehr Dinge einfallen. Wie das immer so ist: Nicht alles an einer Krise ist schlecht. Es gibt auch immer etwas Gutes, das daraus hervorgeht.

Das Blatt und den Blick wenden

Das chinesische Schriftzeichen für das Wort Krise beinhaltet zwei Silben, einzeln gelesen bedeuten die Worte „Gefahr“ und „Chance“. Heute, am ersten Tag eines neuen Jahres, fühle ich mich dem zweiten Teil des Wortes schon etwas näher als gestern. Es ist, als habe sich das Blatt von der Gefahr zur Chance gewendet. 2020, das Corona-Jahr, ist vorbei. Jetzt fängt mit 2021 wieder was Neues an, eine neue Chance.

Natürlich kann ich all das Schlimme, das war, nicht ungeschehen machen. Aber ich kann die bedrohlichen und angstmachenden Gedanken hinter mir lassen - und mich auf das konzentrieren, was vor mir liegt. Ich hab die Chance, mich und meinen inneren Kompass neu auszurichten. Weg von den Sorgen und Ängsten hin zu den Hoffnungen und Möglichkeiten. Wenn ich diese Chance nutze, stärkt das mein seelisches Immunsystem. Ich glaube, das geht: Ich kann mir für meine Seele genauso eine Impfung holen wie für meinen Körper. Aber wie funktioniert das denn konkret?

Schützende Proteine statt Erreger

Beim Impfen ist es ja für gewöhnlich so: Ein Erreger wird gespritzt, um die körpereigenen Abwehrkräfte gegen diesen Erreger zu aktivieren und mich dagegen immun zu machen. Bei der Corona-Impfung funktioniert das etwas anders: Da wird nicht der Erreger gespritzt, sondern quasi die genetische Bauanleitung für ein ganz bestimmtes Protein. Damit kann mein Körper dann im Falle einer Infektion einen Schutzwirkstoff „bauen“ und mich so vor der Erkrankung schützen.

Ich glaube: Nach diesem Prinzip kann auch eine Impfung für die Seele funktionieren. Und ich hab auch schon ein paar Ideen, wo ich die schützenden Proteine herbekomme. Ich hab mich nämlich mal auf die Suche gemacht nach bewährten, gedanklichen Impfstoffen.

Tief Luft holen in der Natur und die negativen Gedanken ausatmen

Eine verblüffend einfache Methode, meine seelische Immunabwehr zu stärken und mich gegen negative Gedanken zu impfen, ist: Etwas Gutes für den Körper tun. Der berühmte Ausspruch der Heiligen Theresa von Avila bringt es auf den Punkt: „Tu deinem Leib Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Allein schon das bewusste, tiefe Atemholen bläst einen Großteil negativer Gedanken aus meinem Kopf. Und wenn das noch draußen an der frischen Luft geschieht, vielleicht in Verbindung mit Joggen oder Walken, hab ich das Gefühl: Da ändert sich etwas in mir, mein Blick weitet sich, und ich kann auch wieder das sehen, was gerade gut ist.

Kleine Auszeiten in fremden Welten

Ein ebenfalls unschlagbarer Gedanken-Impfstoff ist für mich das Eintauchen in fremde Welten: Wenn ich zum Beispiel eine fesselnde Serie schaue oder einen guten Roman lese, bin ich für ein paar Momente in einer anderen Welt. Dieses Abtauchen gönn ich mir ab und zu. Danach bin ich tatsächlich entspannter und die Dinge, die in der „realen Welt“ zu tun sind, gehen mir wieder leichter von der Hand.

Stärkende Gedankenanstöße aus der Bibel

Der nachhaltigste aller Impfstoffe für meine Gedanken findet sich auch in meinem Bücherregal. Es ist: die Bibel. Mancher wird jetzt vielleicht denken: „Klar, die Frau von der Kirche muss ja wieder mit der Bibel kommen. Die will mir bestimmt ihre Botschaft einimpfen…“ Aber: Darum geht’s mir nicht. Ich finde ja, es muss jeder seine eigenen Stärkungsmöglichkeiten entdecken. Es gibt keine Impflicht: Ich muss das, was in der Bibel steht, nicht an mich ranlassen. Aber: Wenn ich es tue, kann in mir etwas entstehen, das mich schützt und stärkt. Und dann kann ich auch andere stärken und schützen.

Mir ein Motto für das neue Jahr auswählen

Konkret funktioniert das zum Beispiel so: Seit ein paar Jahren hab ich eine Tradition: Ich wähle mir zum Jahresbeginn einen biblischen Vers aus, der für mich zu einem Jahresmotto wird. Ich frische diese seelische Impfung immer mal wieder auf und erinnere mich bewusst daran. Dann überlege ich, wie mir das ausgesuchte Wort oder der Satz jetzt gerade helfen, mich trösten oder mir eine Entscheidung erleichtern kann. Im letzten Jahr war es „Der Herr ist mein Hirt“ aus Psalm 23. Heute möchte ich mir das Motto des Ökumenischen Kirchentags über mein Jahr schreiben: „Schaut hin“. Es stammt aus der berühmten Geschichte, in der Jesus eine große Menschenmenge mit fünf Broten und zwei Fischen satt macht (vgl. Markusevangelium, Kapitel 6,30-44). Noch weiß ich natürlich nicht, was dieses Jahr bringen wird und wie das Motto „Schaut hin“ mein seelisches Immunsystem schützen und stärken kann. Aber: Ich hab es jetzt erstmal in mir – und wenn es gebraucht wird, ist es zuverlässig da.

Die Bibel, die Natur, meinem Körper Gutes tun: All das stärkt mein seelisches Immunsystem und hilft mir, mich gegen negative Gedanken, Ängste und Sorgen zu wappnen. Das hilft hoffentlich genauso gut gegen Corona wie der Impfstoff, den es für den Körper gibt. So geimpft und gestärkt gehe ich zuversichtlich und froh in das neue Jahr.

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