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Geheilte Steine
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Geheilte Steine

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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Ein Freund hat mir etwas aus dem Urlaub mitgebracht. Einen schönen Stein, dunkelgrau mit weißen Linien. Beim Wandern in den Bergen hat er ihn am Wegrand gefunden. „Weißt Du, dass diese Steinen einen besonderen Namen haben?“ fragt er. Ich schaue ihn erstaunt an. „Ja“, sagt er. „Wir sind in einer Gegend gewandert, wo die Felsen mit weißen Quarzadern durchzogen waren. So wie der Stein, den ich dir mitgebracht habe. Und unser Bergführer hat erklärt: „Diese Steine heißen „geheilte Steine.“ Bei der Entstehung sind nämlich in auseinander gebrochene Felsen über lange Zeit andere Mineralien eingeflossen und haben die Lücken wieder geschlossen. Aber die Wunden bleiben sichtbar. Geheilte Steine eben.“

Mit seinen Adern und Zeichnungen erinnern mich mein Stein an Risse und Wunden im Leben. Sie heilen wieder, wachsen zusammen und so entstehen Linien, die jedem Leben ein einzigartiges Muster geben. Mir scheint, wir Menschen sind alle wie „geheilte Steine“.

Kein Leben ist ohne Brüche, bei niemandem läuft alles glatt. Es kann eine Krankheit ist. Der Verlust der Arbeitsstelle, eine Verletzung, die mir jemand zugefügt hat. Eine Trennung, ein Todesfall - ganz verschieden sind die Erfahrungen, die mir das Gefühl geben können: Nicht nur meine Pläne sind zerrissen, auch in meinem Herz ist etwas zerbrochen.

„Die Zeit heilt Wunden“, sagen wir. Manchmal ist das so. Aber zum Glück kommt zur Zeit noch anderes hinzu: Menschen, die mir gut tun. Erfahrungen, die andere Perspektiven öffnen. Überraschungen, die meinem Leben eine neue Wendung geben. Und langsam entsteht aus dem, was zerbrochen ist, etwas Neues.

Hilde Domin sagt in einem ihrer Gedichte

„dass wirimmer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst entlassen werden“

Versehrt und trotzdem heil sein, das ist für die Dichterin kein Widerspruch. Im Gegenteil. Nur so können wir uns entwickeln und werden, die wir sind.

Auch in der Bibel ist heil werden nicht das gleiche wie unversehrt sein. Bei den Heilungsgeschichten, die von Jesus erzählt werden, wird das besonders deutlich. Jesus spricht mit den Menschen, die zu ihm kommen. Fragt nach dem, was sie sich wünschen. Sieht, was die Seele braucht. Denn der Körper kann erst gesund werden, wenn die Seele wieder ganz und heil ist.
Und wo das geschieht, wo die Seele heil ist, da kann ein Mensch sich heil fühlen, auch wenn die Beine weiter gelähmt bleiben, oder das Leben nicht die Kurve nimmt, die ich mir einmal erträumt habe.

„Ich will sie heilen und gesund machen und ihnen Frieden geben“ verheißt Gott im Buch des Propheten Jeremia (Jer.33,6) Heilwerden und Frieden finden. Auch Frieden mit mir selber und mit meinem Leben, das das beste aller Leben ist – weil nur dieses Leben meins ist. In meinen Lebenslinien mein unverwechselbares Muster entdecken und Gottes Liebe, die  mich trägt und begleitet.

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