Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Frisch und unverbraucht: Neues Jahr und neues Leben
GettyImages/michel74100

Frisch und unverbraucht: Neues Jahr und neues Leben

Lisa Neuhaus
Ein Beitrag von Lisa Neuhaus, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt am Main
Beitrag anhören:

"Ein gutes neues Jahr!" Gute Wünsche gehören zum Jahreswechsel wie die Glocken zur Silvesternacht. "Frohes Neues!" Die Wünsche sollen auf eine Spur der Zuversicht setzen für den Weg ins Jahr, das noch frisch und unverbraucht ist.

Zuversicht: Die braucht es dieses Jahr besonders nötig angesichts vieler Befürchtungen. Da hören sich die guten Wünsche manchmal fast beschwörend an: Möge doch wahr werden, was wir einander wünschen!

Segen fürs neue Jahr

Ab und zu wurde mir in den letzten Tagen auch "Ein gesegnetes neues Jahr" gewünscht. Das klingt ein bisschen fromm und geht nicht jedem so leicht über die Lippen. Denn bei diesem frommen Wunsch kommt noch eine andere Dimension ins Spiel: Der Segen.

Segen, das ist eine Kraft, die aus der unendlichen Weite Gottes kommt. Eine Kraft, die Worte wirklich wahr werden lässt. Sie schenkt langen Atem und erschließt neue Wege. Das täte gut im neuen Jahr.

Acht Tage nach Weihnachten ein weiteres Fest

Segen suche ich heute in einer kurzen biblischen Geschichte. Der Geschichte von der "Beschneidung und Namensgebung Jesu" am achten Tag nach seiner Geburt.

So kurz nach der Geburt  liegt das Leben noch ganz frisch und unverbraucht vor einem Kind. Und doch sind auch Säuglinge von Anfang an eingebunden in ein lang gewachsenes Geflecht aus Beziehungen und Traditionen. Das geht schon mit dem Namen los, der von anderen gegeben wird.

Beschneidung und Taufe

Am Anfang des Lebens werden Kinder in allen Religionen mit überkommenen Zeremonien in der Gemeinschaft begrüßt. Im Christentum geschieht das durch die Taufe, bei einem jüdischen Jungen wie Jesus ist es die Feier der Beschneidung. Sie wird am achten Lebenstag begangen.

Da heute der achte Tag nach der Geburt Jesu ist, gilt er im kirchlichen Kalender auch als "Fest der Beschneidung und Namensgebung Jesu". Ich glaube, in der biblischen Geschichte zu diesem Tag gibt es Neues zu entdecken: Segensworte  - und einen Namen, der um die Welt geht. Neues, das auch zum ersten Tag des Jahres passt.

Musik: G. Ph. Telemann, Trompetenkonzert 1, Allegro    

Jesus wird beschnitten und bekommt seinen Namen

Die Festgeschichte zum achten Tag nach Weihnachten, dem Tag der Beschneidung und Namensgebung Jesu, ist schnell erzählt. Sie folgt beim Evangelisten Lukas direkt auf die Weihnachtsgeschichte.    

Am achten Tag fand die Beschneidung statt. Und das Kind erhielt den Namen Jesus, der von dem Engel genannt worden war, noch ehe es im Bauch seiner Mutter empfangen wurde. (Lukas 2, 21)

Acht Tage nach der Geburt: Da sind die Eltern noch gar nicht richtig zur Besinnung gekommen vor lauter Besuchen und guten Wünschen. Jetzt  ist die Stunde der Religion. Sie soll mit ihren Traditionen und mit dem Schatz ihrer Worte helfen, besonders aufregende und beunruhigende Erfahrungen im Leben zu bewältigen.

Das Kind wird in die Gemeinschaft aufgenommen

Und jede Religion stellt durch ihre Riten auch Zugehörigkeit her. Das Kind wird damit in die Gemeinschaft aufgenommen. Bei jüdischen Jungen geschieht das durch die Zeremonie der Beschneidung, acht Tage nach der Geburt.

So war es schon lange vor der Geburt Jesu Sitte und ist es bis heute. Die Beschneidung  ist ein Ritus unter Männern, so kenne ich es aus Israel. Dort habe ich die Zeremonie ein paar Mal miterlebt und stelle mir vor, dass es bei Jesus ähnlich abgelaufen ist.

Da müssen die Eltern nun durch an diesem Tag: Sie müssen ihren Säugling, der doch so verletzbar und schutzbedürftig ist, einem schmerzhaften Eingriff aussetzen. Das Kind wird der Mutter dazu von einer Patin abgenommen und zu den versammelten Männern gebracht. Die stehen für das Kind auf und begrüßen es mit einem Segenswunsch: "Gesegnet, der du kommst!"

Gesegnet, der du kommst!

Was für eine schöne Begrüßung. Für einen Augenblick ist Ehrfurcht im Raum, Ehrfurcht vor dem neuen Leben. Die Beschneidung geht schnell vorbei.

Die Frauen, also die Mutter, Verwandte und Freundinnen, halten sich dabei auf Abstand und sehen lieber nicht hin. Aber so ist es Tradition: Das Zeichen der Zugehörigkeit geht bei den männlichen Nachkommen buchstäblich unter die Haut.

Schmerzen gehören zum Leben, von Anfang an. Auch die Schmerzen, die andere uns zufügen. Nun ist die Zeremonie überstanden. Das Kind gehört jetzt dazu, zu Gott und zur Gemeinschaft. Es wird wieder zur Mutter gebracht.

Die tröstet es und sagt dann laut seinen Namen, so dass alle ihn hören. Den Namen, der das Kind immer begleiten wird in dem Leben, das so offen und unverbraucht vor ihm liegt.

Jede Menge Segen

Auf die Namensgebung folgt jede Menge Segen, gute Wünsche zum Anfang. Für die Eltern, für das Kind und auch für Gott.

Da heißt es dann: "Gott erhalte diesem Kind die Eltern. Der Vater erfreue sich an dem Kind und die Mutter singe über die Frucht ihres Leibes. Das Kind wird ein Großer. Möge es Hand und Herz Gottes sein."

Hand und Herz Gottes sein: Was für starke Worte über so ein kleines Kind! Auch dieser Segen soll das Kind immer begleiten auf seinem Weg ins Leben.Und dann wird gefeiert. Das Fest nach der Beschneidung ist ein Gebot, eine Pflicht!

Wenn du etwas Schweres hinter dir hast, musst du gut essen und trinken

Eine israelische Freundin hat immer gesagt: "Wenn du etwas Schweres hinter dir hast, musst du gut essen und trinken, mein Kind." Also wird jetzt das neue Leben gefeiert: So viel Freude. So ein Schmerz. Und so viel Segen, Dankbarkeit und Ehrfurcht.

Im Beziehungsgeflecht und doch individuell

Jeder Mensch ist wie Jesus von Anfang an verbunden in einem Beziehungsgeflecht von vielen Menschen. Mit Erblasten und guten Genen, mit Traditionen und mit Erwartungen.

Aber zugleich kommt mit jedem und jeder etwas Eigenes in die Welt: Die Verheißung, dass jetzt etwas Neues wächst und blüht und Früchte trägt, auch für andere. Das ist es wohl, was  die meisten Menschen anrührt, wenn sie ein Neugeborenes sehen, dieses Neue und Unverbrauchte. Ich glaube, allein schon durch den Blick auf ein Baby kann Neues in die Welt kommen.

Musik:  A. Corelli, Violinsonate in C, Allegro

Mitgefühl lernen: Wie geht das?

Alle Jahre wieder sind Kinder und Erwachsene angerührt, wenn vom Kind in der Krippe erzählt wird. An Weihnachten schauen alle mit Wohlgefallen auf dieses Kind.

Und auch heute, am achten Tag danach, richtet das kirchliche "Fest der Beschneidung und Namensgebung Jesu" den Blick noch einmal auf den neugeborenen Jesus. Ein Baby anzusehen kann viel bewirken. Auch beim Blick auf Fotografien und Gemälde.Was geschieht da eigentlich?

Babywatching

Davon berichtet mir eine jüngere Freundin, die ich mit ihrer kleinen Tochter Johanna im Park treffe. Sie erzählt: "Wir machen jetzt 'Babywatching' im Kindergarten. Zum Babywatching geh ich jede Woche eine Stunde mit Johanna zu den Kindern.

Sie setzen sich im Kreis um uns herum und wir machen nichts Besonderes. Wenn Johanna schreit, überlegen die Kinder, was ihr wohl fehlt und was ich tun könnte, damit sie nicht mehr schreien muss. Sie sehen ihr zu, wie sie da liegt und freuen sich, wenn sie lächelt. Wenn ich weg gehe, ist die Stimmung anders als am Anfang. Die Kinder werden irgendwie so friedlich."

Der Blick auf ein Baby wirkt Wunder

Ich frage nach, was der Grund für das Babywatching im Kindergarten ist. Die Freundin erklärt es mir so: "Die Pädagoginnen sagen: Kinder lernen durch die Beschäftigung mit einem hilflosen Baby, sich in die Bedürfnisse von anderen einzufühlen, und sie entwickeln Mitgefühl für so ein bedürftiges Wesen.

Sie überlegen dann auch bei größeren Kindern eher, was ihnen fehlen könnte, wenn sie schreien und Streit suchen. Irgendwie wirkt der Blick auf ein Baby wie Johanna wohl Wunder. Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich merke, wie gut das den Kindern tut. Und eine der Erzieherinnen sagt immer zu mir: Die Zeit mit Johanna ist ein echter Segen für uns alle hier."

Ein Kind mit Ehrfurcht ansehen

Babywatching: Wie es heute so geht, ist aus dem alltäglichen Blick auf ein kleines Kind eine Methode geworden. Babywatching ist ein geschützter Begriff, und wer will, kann dafür sogar eine kurze Ausbildung machen.

Die Erfahrung ist aber den meisten vertraut, denn es lässt kaum jemand  kalt, ein kleines Kind anzusehen. Wie so viele Menschen kann ich mich nicht satt sehen an den winzigen Füßen und Händen.

Ich bewundere die weiche Haut und bin gerührt, wenn das Kind mich anschaut, mit einem Blick wie aus einer anderen Welt. Ich werde dabei ganz ehrfürchtig. Babywatching scheint tatsächlich Ehrfurcht vor dem Leben zu erzeugen und Mitgefühl mit den  Bedürfnissen anderer. Ich finde, das hat unsere Gesellschaft gerade besonders nötig.

Wir nerven, wenn wir schreien. Wir sind schön, wenn wir lächeln

Ein Menschenkind mit Freude anzuschauen in seiner Bedürftigkeit und seinem Liebreiz, das geht ans Herz und lässt keinen kalt: Glucksen und Schmatzen, volle Windel, Geschrei, ein Lächeln.

Wie in einem Spiegel entdecke ich: Jeder Mensch ist auf andere angewiesen. Wir leben von dem, was uns geschenkt wird und müssen uns dafür nicht schämen. Wir alle nerven, wenn wir schreien und sind schön, wenn wir lächeln. 

Das ganze Jahr Weihnachten

Babywatching als eine Art Therapie, die heilen kann von Konkurrenz und kalten Blicken: Da wird meine Wahrnehmung geschärft für die Bedürfnisse anderer, für ihre liebenswerten Seiten und für ihre Würde.

Das ist vielleicht naiv gedacht. Aber ist das so schlecht? "Naiv" kommt von "nativ", und das heißt im Lateinischen: "geburtlich". Naiv denken bedeutet also "geburtlich denken", vom Anfang her, von dem, was alle verbindet.

Es wäre doch schön, wenn auch Erwachsene einander mit Ehrfurcht und Staunen anschauen. Und mit Freude. Dann wäre ja das ganze Jahr Weihnachten. Wer von uns würde nicht gebraucht!  Wer wäre nicht "systemrelevant"! Und sei es wegen eines Lächelns.

Musik: J. S. Bach, Das neugebor`ne Kindelein

Ein Name und ein Segen

Frisch und unverbraucht:  Das neue Jahr, dieser Tag, ein junges Leben. Spätestens ein paar Tage nach der Geburt bekommen Kinder ihren Namen.

Manchmal ist er den Eltern schon vor der Geburt klar, andere finden ihn, wenn das Kind da ist. Der Name wird  auf dem Standesamt, bei der Beschneidung oder bei der Taufe bekannt gemacht. In der kurzen Geschichte zum Fest der Namensgebung Jesu wird erzählt:

"Das Kind erhielt den Namen Jesus, der von dem Engel genannt worden war, noch bevor es im Bauch seiner Mutter empfangen wurde." (Lukas 2,21)

Maria muss nicht lang überlegen, wie ihr Kind heißen soll. Am achten Tag, nach der Beschneidung sagt sie es allen: Dieses Kind soll Jeshua genannt werden,  Jesus.

Alle sind verwundert, denn so heißt niemand in Marias Verwandtschaft. Später wird erzählt, ein Engel, also eine Gestalt aus der unendlichen Weite Gottes, habe Maria den Namen eingegeben.

Und wirklich! Der Name ist eine Engelsbotschaft, eine Verheißung. Jesus bedeutet nämlich: "Gott hilft."

Jesus bedeutet: Gott hilft

Jesus. Jeschua auf Hebräisch. Was in diesem Namen alles anklingt! Gott befreit, reißt aus Not, schafft Weite. In diesem Namen steckt alles, was in der Bibel von Gott erzählt wird. 

Wenn Gott hilft, wenn Jesus der Inbegriff von Gottes Hilfe ist, dann kann ich ungeniert Hilfe in Anspruch nehmen. Ich muss mich nicht dafür schämen, dass ich auf andere angewiesen bin.

Ich muss mich nicht erbärmlich fühlen, wenn ich gesehen werden möchte und mich nach Segen für mein Leben sehne. Und wenn ich selber barmherzig angesehen werde, wird mein Blick auf andere auch von Mitgefühl geprägt sein.

Jeschua. Gott hilft. So soll das Kind heißen. Bei der Beschneidung wurde ihm zugesagt: "Das Kind wird ein Großer. Möge es Herz und Hand Gottes sein."  

Jesus ist erwachsen

Was ist aus diesem Kind geworden als Großer? Ich sehe ein Herz für alles Kleine und Übersehene in der Welt. Eine Hand, die berührt und heilt. Ein Mund, der aufrüttelt, aber auch verwirrt und zum Widerspruch reizt. Ein Mund, der lacht, rettet, tröstet.

Als Großer, auf seinem Weg ins Leben  ist Jesus wirklich eins mit seinem Namen geworden: "Gott hilft." Er hat so vielen geholfen. Später wird er dann Jesus Christus genannt, das heißt: Jesus, Gesalbter Gottes. Im Namen Jesus und in dem schwergewichtigen Titel Christus versteckt sich eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Gott und diesem Menschen.

Aus der Provinz in die weite Welt

Jesus Christus. Aus der römischen Provinz Judäa ist der Name in die weite Welt gewandert. In allen Ländern der Erde ist er im Lauf der Zeit bekannt geworden. Er wird verbreitet durch den Mund vieler Menschen und ist darauf angewiesen, dass sie bei ihm Hilfe suchen.

Kinder lieben die Geschichten, die von ihm erzählt werden: Zum Beispiel, wie das Brot für alle reicht oder wie Kinder Vorbilder für die Großen sind.     

Singen und sagen

Jesus, Gott hilft. Der Name geht mit im Alltag. Er regt zu kleinen und großen Taten der Barmherzigkeit an. Er hat Menschen zum Komponieren allerschönster Musik inspiriert. Er wird besungen, auch von vielen, die sagen würden: Ich glaube nicht an Gott.

Aber  was heißt schon glauben! Diesen Namen singen oder sagen, das reicht, und durch Singen und Sagen verbindet der Name mit der unendlichen Weite Gottes. Vielen wärmt der Name das Herz. Herzerwärmendes im neuen Jahr: Das tut bestimmt gut.

Der Name Jesus ist um die ganze Welt gewandert und wird dabei immer reicher an Segen. Deshalb soll zum guten Schluss zu den Wünschen für das neue Jahr noch ein Segen kommen, ein Segenswort zum Jahresbeginn aus Irland. Wie jeder Segen ist er ein wahrhaft frommer Wunsch -  und Gottes Herz und Hand mögen diesen Wunsch in Kraft setzen:    

Segen für das neue Jahr

"Das Licht Christi erleuchte dich. Die Freude Christi mache dich froh. Der Friede Christi erfülle dein Herz."

Ja! So soll es sein in diesem neuen Jahr.

Musik: J. S. Bach, Jesus bleibet meine Freude

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren